MTB Sport News Juli 2020 14 - www.mtb-sport.de - die Mountainbike Seite im Netz!

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Finale am Kite-Beach: Keller und Vitzthum sichern sich Gesamtwertung des Engadin Bike Giro 2020 - Während  die Schweizerin Alessandra Keller (Thömus) auch die dritte Etappe des  Drei-Etappen-Rennens gewann, konnte der Vorarlberger Daniel Geismayr  (Centurion-Vaude) seinen ersten Tagessieg feiern

Unter  stahlblauem Engadiner Himmel reichte dem Rheinecker (Kanton St. Gallen)  Simon Vitzthum (jb Brunex felt) heute der zweite Platz mit einem  Rückstand von 1:58 min hinter dem österreichischen Tagessieger Daniel  Geismayr (Siegerzeit 2:56:36 h), um den Gesamtsieg bei der fünften  Austragung des Engadin Bike Giro perfekt zu machen. Vitzthum hatte beim  Start der dritten Etappe über 64,4 km und 1.992 Höhenmeter gerade mal  eine Sekunde Vorsprung auf seinen ärgsten Widersacher, den Wyniger  (Kanton Bern) Lukas Flückiger vom Team Infinity, während Geismayr nach  technischen Problemen auf der zweiten Etappe bereits in der  Gesamtwertung abgeschlagen über eine halbe Stunde Rückstand hatte. Daher  konterte die rund zehnköpfige Spitzengruppe die Attacke des  Österreichischen Staatsmeisters Geismayr hinauf auf den Sulvrettapass  nicht und ließ ihn ziehen. So es zum erwarteten Showdown zwischen  Vitzthum und Flückiger, den ersterer mit einem Vorsprung von 37 Sekunden  schließlich deutlich für sich entschied. Flückiger zollte der Leistung  des 25-Jährigen großen Respekt: „Ich gönne Simon den Gesamtsieg. Er war  sehr stark und hat konstant sehr gute Leistungen geliefert. Er ist in  guter Form. Das ist Weltklasse!“ Flückiger, der selbst gerne die  Gesamtwertung gewonnen hätte, hatte im letzten Teil des langen Anstiegs  Magenprobleme und musste Vitzthum ziehen lassen. Zwischenzeitlich war  der Vitzthums Vorsprung sogar auf drei Minuten angewachsen, doch während  Flückiger in den abschließenden Singletrails alles daran setzte,  Vitzthum wieder einzuholen, fuhr der auf Nummer sicher: „Ich wusste, ich  muss ruhig bleiben. Eine Sekunde Vorsprung ist nichts, ein platter  Reifen kostet viel mehr Zeit. Aber ich wusste auch: in der Abfahrt sind  Flückiger, Julian Schelb und Thomas Litscher schneller als ich. Deswegen  musste ich schon vorher einen Vorsprung heraus fahren.“ Zwei Wochen vor  der Schweizermeisterschaft im olympischen Cross-Country in Gränichen  (Aargau) zeigt sich Vitzthum in glänzender Verfassung.

Daniel  Geismayr (Centurion-Vaude) „wollte heute unbedingt nochmal zeigen, was  ich kann und was geht.“ Das gelang dem Vorarlberger bestens: „Im langen  Anstieg konnte ich meinen Rhythmus fahren.“ Schnell hatte er einen  kleinen Vorsprung herausgefahren, fühlte sich selbst „wie im Tunnel“ und  kletterte hinauf zum Sulvretta-Pass: „Es war bestimmt von Vorteil, die  engen Spitzkehren alleine hochzufahren. Dort war es relativ steil und  rutschig. Wenn einer einen Fehler macht, müssen alle absteigen.“  Geismayr musste aber weder dort noch in der Abfahrt etwas riskieren und  konnte die Etappe nach 2:56:36 Stunden für sich entscheiden, fast  vierzig Minuten schneller, als in der Marschtabelle des Veranstalters  als Siegerzeit angenommen worden war.

Um  Platz 3 in der Tageswertung kämpften Thomas Litscher (KMC Orbea) und  Flückiger im Sprint am Ufer des Silvaplaner Sees. Hauchdünn und erst  nach Auswertung des Zielfilms erklärten die Kommissäre von Swiss Cycling  Flückiger zum Drittplaziertem, Litscher musste sich mit Rang 4  zufrieden geben, hatte aber auch gar keine großen Ambitionen auf die  Gesamtwertung: „Ich habe gute Reize gesetzt für die nächsten beiden  Wochenenden“, an denen in der Schweiz ein Rennen der nationalen  Cross-Country-Rennserie Swiss Bike Cup in Leukerbad und die  Schweizermeisterschaften auf dem Programm stehen. „Meine Beine waren am  ersten Tag am schlechtesten, gestern gings besser, und heute nochmal  besser. Ich bin tiptop zufrieden, es passt alles“, zeigte sich der  31-Jährige jedenfalls zufrieden mit dem vierten Platz in der  Gesamtwertung (+5:15 min). Dazwischen platzierte sich auf Rang 3 der  Gesamtwertung der Münstertaler Julian Schelb vom Team Stop&Go  Marderabwehr. Der hatte zwar keine Podiumsplatzierungen bei den  einzelnen Etappen vorzuweisen (1. Etappe Sechster, 2. Etappe Vierter, 3.  Etappe Fünfter), durch seine konstant guten Leistungen wanderte Schelb  in der Gesamtwertung dennoch stetig nach oben: „Ich kann eine sehr  positive Bilanz ziehen. Ich hab immer das Maximale rausgeholt und bin  sehr konstant gefahren.“ Während viele Sportler in Corona-Zeiten mehr  Zeit fürs Training aufwenden konnten, ging der gelernte Zimmermann und  Semi-Mountainbike-Profi einen anderen Weg: er erhöhte sogar seine  Arbeitszeit von 60 auf 80 Prozent: „Wenn am Wochenende keine Rennen  sind, kann ich auch mehr arbeiten.“

Pechvogel  bei den Männern war der Vorjahressieger Sascha Weber, der sich extra  unweit des Engadins in Livigno wochenlang speziell auf dieses Rennen  vorbereitet hatte. Bei einem Sturz auf der ersten Etappe verletzte er  sich unglücklich am Daumen. Zwar konnte er die zweite Etappe für sich  entscheiden, bei der dritten Etappe musste der gebürtige Saarländer, der  jetzt im Mountainbike-Mekka Schwarzwald lebt, überraschend aufgeben:  „Als wir über eine Bahnlinie überquerten, wurde mir klar, dass ich mit  dem lädierten Daumen kaum die lange Abfahrt vom Sulfretta-Pass  hinunterfahren kann, so schön die Trails da auch sind. Schweren Herzens  entschied ich mich, das Rennen vorzeitig zu beenden.“

Während  es also bei den Männern hochdramatisch herging, gab es bei den Frauen  eine souveräne, unangefochtene Siegerin: mit drei Etappensiegen sicherte  sich die 24-jährige Schweizerin Alessandra Keller (RN Thömus) in einer  Gesamtzeit von 9:33:37 Stunden auch den Gesamtsieg des Engadin Bike  Giro, knapp zwanzig Minuten vor ihrer Landsfrau Linda Indergand, die im  Trikot der Schweizerischen Nationalmannschaft gestartet war. Die  Grundlage für ihren Gesamtsieg legte sie in den Anstiegen, wo sie kaum  Zeit auf ihre Konkurrentinnen verlor. In den Downhills aber spielte sie  ihre technische Brillanz aus: „Heute habe ich am langen Aufstieg schon  sehr gelitten. Meine Beine waren ein bisschen müde von den letzten  beiden Tagen. Es war richtig steil und richtig lang“, beschrieb Keller  den Anstieg über fast 1.000 Höhenmetern am Stück hinauf zum  Sulvretta-Pass. Belohnt wurde sie wie alle anderen knapp 500 Teilnehmer  mit der grandiosen Aussicht und „echt coolen und richtig vielen Trails“  bergab. Dabei hatte Keller gar nicht damit gerechnet, das hochklassig  besetzte Rennen so zu dominieren: „Ich hab nicht damit gerechnet, dass  der Gesamtsieg so deutlich sein wird. Aber ich habe mich im Vorhinein  sehr gut gefühlt und konnte trotz Corona gut trainieren. Für mich war es  wirklich mal Zeit, auch nach meiner Verletzung letztes Jahr, dass ich  mein Potential voll abrufen kann“, sagte Keller, die ihr  Pharmazie-Studium zugunsten einer optimalen Olympia-Vorbereitung  pausiert, nach dem Zieleinlauf direkt am berühmten Kite-Beach von  Silvaplana.

Ihr  bestes Tagesergebnis erreichte die Deutsche Meisterin Elisabeth Brandau  vom Team Radon EBE-Racing. Nachdem sie mit dem feuchtkalten Wetter bei  der zweiten Etappe überhaupt nicht zurechtgekommen war, konnte die  Cross-Country-Spezialistin, für die Anstiege selten länger als wenige  Minuten am Stück dauern, das Rennen über 3:43 Stunden besser managen:  „So einen langen Anstieg kenne ich aus dem Cross-Country gar nicht, das  hab ich dieses Jahr auch noch gar nicht trainiert. Ich habe daher Angst  gehabt, dass es hinten raus nicht reichen würde.“ Brandau hatte in einer  kurzen Abfahrt vor dem langen Anstieg den Anschluss zu Keller verloren,  konnte die Lücke aber wieder schließen und hatte oben am höchsten Punkt  rund eine Minute Vorsprung auf Keller. „Aber Alessandra hat mich dann  gleich wieder eingeholt.“ Die beiden fuhren eine Zeitlang zusammen, ehe  Keller beschleunigte und der Deutschen davonzog. Am Ziel hatte Brandau  dann 3:46 min Rückstand auf Keller, was für den zweiten Platz im  Tagesklassement reichte und mit dem sie Adelheid Morath (KS Trek,  Freiburg) auch noch vom dritten Gesamtplatz verdrängte.

Auch  Abfahrtsliebhaberin Linda Indergand war ganz begeistert von den  „flowigen Trails“ am heutigen. Doch bis sie diese erreichte, musste die  Sportlerin aus dem Kanton Uri „viel leiden“, wie sie im Ziel zu  Protokoll gab. „Aber mir spielt in die Karten, dass die letzte Abfahrt  technisch so schwierig war. So könnte es von mir aus immer sein“,  strahlte sie am Kite-Beach von Silvaplana mit der Sonne um die Wette.  Den Wunsch dürfte ihr Veranstalter Kai Sauser gerne erfüllen. Für ihn  war die fünfte Austragung des Engadin Bike Giro „ein Traum, dass das  Rennen überhaupt stattfinden durfte, dass wir es organisieren durften  und dass die Sportler wieder einen Wettkampf bestreiten durfte“, sagte  Sauser mit Blick auf die Corona-Pandemie: „Es war eine tolle Stimmung  das ganze Wochenende über. Jeder hatte wieder richtig Bock. Das macht  einfach Spaß.“ Corona hat den Veranstaltern aus Villingen-Schwenningen  trotz Corona-Auflagen und Hygienekonzept einen neuen Teilnehmerrekord  beschert. „Bislang waren im Oberengadin 300 bis 400 Athletinnen und  Athleten aller Altersklassen an den Start gegangen, in diesem Jahr waren  es 470“, freut sich Sauser. Jetzt blickt er voraus zur nächsten  Großveranstaltung seiner Eventagentur, dem Rothaus Bike Giro im  Hochschwarzwald. „Da haben wir bislang das okay für 500 Teilnehmer über  vier Tage.“


Weitere Informationen unter www.engadin-bike-giro.ch

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